Wir brauchen keinen Nationalen Aktionsplan „E-Mobilität“, sondern einen Nationalen Aktionsplan „Bezahlbare, klimaneutrale Mobilität“ – und das bedeutet nicht automatisch „Alles auf E“

Wenn die deutsche Automobilindustrie einen Schnupfen hat, bekommt Deutschland eine Lungenentzündung. Es ist höchste Zeit, die Verkehrswende sinnvoll zu gestalten, bevor der Wirtschaft und damit uns allen die Luft ausgeht.

Ich liebe Herbert Diess. Der Chef des größten Autobauers der Welt hat klare Worte gefunden und angefangen die Politik vor sich herzutreiben.

Noch im Herbst vergangenen Jahres kritisierte der VW-Boss den politischen Feldzug gegen den Verbrennungsmotor und warnte die Regierung vor Industriebrachen wie in Detroit oder Turin. Nun steuert er gnadenlos um und fordert das Ende der Technologieoffenheit in Deutschland und die 100-prozentige Fokussierung auf den Elektroantrieb.

Zurecht! Denn in der Automobilindustrie ist es fünf vor zwölf. Die deutschen Automobilhersteller – allen voran die Premium-Produzenten Daimler, BMW, Porsche und Audi – haben mit ihren margenstarken PS-Schwergewichten keine Chance, den ab 2021 geltenden Emissionsgrenzwert 95 g/km für alle Neuzulassungen zu erreichen. Die Konsequenz sind Strafzahlungen nach Brüssel in Milliardenhöhe.

In der Automobilindustrie brennt es lichterloh!

Der VW-Chef schaut nicht tatenlos zu, sondern verlangt angemessene Unterstützung aus der Politik durch einen „Nationalen Aktionsplan Elektromobilität“ für den schnelleren und flächendeckenden Aufbau einer Ladeinfrastruktur und die Bereitstellung von ausreichend erneuerbarem Strom.

Grundsätzlich hat Diess das Recht zu fordern, denn die Energiewende ist nicht das Projekt der deutschen Industrie; sie ist das Projekt der Bundesregierung. Und die Bundesregierung muss endlich liefern!

Diess ist klug genug, nicht denselben Fehler zu begehen, wie einst RWE-Chef Jürgen Großmann, als er beim Kaffeekränzchen mit Angela Merkel über den Ausstieg aus dem Ausstieg der Atomstromproduktion dealte – in gutem Glauben, dem politischen Willen ein Schnippchen zu schlagen. Doch dann flog Fukushima in die Luft. Frau Merkel bekam wegen der anstehenden Landtagswahl in Baden-Württemberg kalte Füße, opferte kurzerhand die getroffenen Vereinbarungen und zwang nicht nur den „Energie-Riesen“, sondern gleich eine ganze Branche in die Knie. Die einst so stolze deutsche Energiewirtschaft ist ruiniert und in Baden-Württemberg regieren heute die Grünen. Dumm gelaufen!

Nach Dieselgate droht der deutschen Automobilbranche dasselbe Schicksal. Um dies abzuwenden, folgt der VW-Chef dem politischen Willen und fährt nun eine radikale „E-Auto-Strategie“ – zur wirtschaftlichen Sicherung des Konzerns und für die Zukunftsfähigkeit einer ganzen Region. Denn wenn VW stirbt, stirbt Niedersachsen!

Natürlich werden die Autohersteller nicht um erhöhte Investitionen in die Elektromobilität herumkommen. Elektroautos werden gebraucht, um die immer strenger werdenden Emissionsgrenzwerte zu erfüllen; ab 2030 liegen sie sogar bei 59,4 g/km!

Doch eine Transformation in einer derartigen Radikalität kann nicht von Erfolg gekrönt sein. Mit Blick auf die EU-Klimaschutzziele 2030 müsste jeder zweite PKW als Elektroauto zugelassen werden. Aktuell sind es nicht einmal zwei Prozent (1). Denn E-Autos zu produzieren, ist eine Sache, sie zu verkaufen, eine ganz andere. Mit hohen Preisen und einer lückenhaften Lade-Landkarte ist die Akzeptanz beim deutschen Autofahrer gering. Somit fällt es schwer, die Elektro-PS auch wirklich auf die Straße zu bringen.

Deutsche Klimapolitik: hoch ambitioniert, aber völlig planlos

Die Automobilindustrie steht vor der größten Herausforderung der letzten 100 Jahre. Schuld daran ist die Politik, die durch ihr fortwährendes Zögern ein Desaster provoziert hat. Es reicht nicht aus, in unzähligen Konferenzen immer wieder neue Klimaziele zu definieren und internationale Vereinbarungen zu unterzeichnen. Man muss danach auch die nationalen Rahmenbedingungen für die Umsetzung schaffen. Abwarten, Aufschieben und Hoffen setzt keine Veränderungen in Gang.

Tatsache ist, dass die CO2-Emissionen in Deutschland in den letzten zehn Jahren gestiegen sind (2). Im aktuellen Strommix spielt Kohlestrom nach wie vor die Hauptrolle. Wir sind weit entfernt von emissionsfreier E-Mobilität für einen aktiven Klimaschutz, werte Verkehrskommission!

Und so lange ein Porsche Panamera SE Hybrid mit einem 500 PS Benzinmotor, einer Höchstgeschwindigkeit von 319 km/h und einer angegebenen elektrischen Reichweite von 50 km als E-Auto angerechnet wird, werden wir im Hinblick auf den Klimaschutz keine Erfolge einfahren. Da bringt es auch nichts, wenn aller Strom eines Tages erneuerbar sein sollte.

Nur unter Berücksichtigung von Alternativen kann in Deutschland die Klimabilanz im Verkehr wirklich verbessert werden. Und zwar umgehend und ohne Trickserei! Die Alternativen lauten Biodiesel, Bioethanol und Biomethan aus Reststoffen und Abfällen – alles verfügbare, saubere, wirtschaftliche Antriebskonzepte „Made in Germany“.

Deshalb muss ich an dieser Stelle Herrn Diess widersprechen. Lieber Herbert, um die Pariser Klimaschutzziele zu erreichen, brauchen wir keinen Nationalen Aktionsplan „E-Mobilität“, sondern einen Nationalen Aktionsplan „Bezahlbare, klimaneutrale Mobilität“ –und das bedeutet nicht automatisch „Alles auf E“.

Biokraftstoffe reduzieren die Treibhausgasemissionen gegenüber Diesel und Benzin um bis zu  90 Prozent. Doch seit Frau Merkel 2006 Klimakanzlerin wurde, ist der Anteil an treibhausgasreduzierenden Biokraftstoffen ständig zurückgegangen. Anstatt die gesetzlichen Vorgaben zu erhöhen und Anreize für einen vermehrten Einsatz sauberer Biokraftstoffe zu setzen, reduziert die Politik deren Anteil aus nicht nachvollziehbaren Gründen.

Der Verbrennungsmotor ist in Verruf geraten. Dabei ist nicht der Verbrennungsmotor schlecht, sondern der Sprit, den wir reinschütten. Kein Mensch käme auf die Idee, seine Saftpresse wegzuschmeißen, nur weil Saft aus vergammelten Früchten erbärmlich schmeckt!

Für bestimmte Bereiche ist und bleibt der Verbrennungsmotor auf absehbare Zeit die einzige vernünftige Alternative. Nicht alle Mobilitätserfordernisse lassen sich mit Strom decken. Zweidrittel des Dieselverbrauches werden durch leichte und schwere LKW verursacht. In diesem Bereich bietet Elektromobilität in absehbarer Zeit keine Lösung.

Also warum nicht mehr Biomethan aus Reststoffen und Abfällen für moderne CNG-Motoren?!? Als Brückentechnologie sorgen sie für eine Energiewende im Verkehr, die sauber und bezahlbar ist!

Emmanuel Macron musste in Frankreich erleben, dass schon ein paar Cent mehr Sprit-Steuer zur Finanzierung der Klimaschutzpläne ausreichen, um einen Ausnahmezustand auf den Straßen vorm Élysée-Palast herbeizuführen. In Deutschland geht es nicht nur um ein paar Cent mehr Spritsteuer, sondern um geschätzte Gesamtkosten in Höhe von 120 Milliarden Euro (3) und um den Verlust der wichtigsten Industrie.

Ex-Bundesumweltminister Jürgen Trittin versprach 2004, dass die Energiewende einen durchschnittlichen Haushalt nicht mehr als eine Kugel Eis pro Monat kosten würde (4). In den letzten Wochen äußerte Bundeswirtschaftsminister Altmaier: „Klimaschutz wird nur dann funktionieren, wenn unser Wohlstand dadurch nicht gefährdet wird“ (5). Lieber Peter, wasch mich, aber mach mich nicht nass, funktioniert nicht mehr! Der Abbau von Arbeitsplätzen in der Energie- und Automobilindustrie hat bereits begonnen.

Die deutsche Politik hat verschiedenste Beschlüsse in Brüssel mitgetragen, ohne den Überblick zu behalten, ohne das Berechnungssystem zu hinterfragen und ohne sich die Konsequenzen für die deutsche Wirtschaft klar zu machen. Jedes der beteiligten Ministerien, angefangen beim Bundesverkehrsministerium (CSU), über das Wirtschaftsministerium (CDU) bis hin zum Bundesumweltministerium (SPD) spielt aus parteipolitischen und ideologischen Gründen ihr eigenes Spiel – ein Spiel mit der Zukunft Deutschlands.

 

Zur Person:

Claus Sauter

Gründer & Vorstandsvorsitzender VERBIO Vereinigte BioEnergie AG und BioEnergie-Experte ...und Partner des CNG-Club e. V.

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(1) Quelle: European Automobile Manufacturers Association, Key Figures, Registration Electric vehicles, www.acea.be/statistics/tag/category/key-figures
(2) Umweltbundesamt, Treibhausgas-Emissionsentwicklung 1990-2017, www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/treibhausgas-emissionen
(3) Quelle: Entwurf des Abschlussberichtes der Verkehrskommission der Bundesregierung
(4) Quelle: Jürgen Trittin als Bundesumweltminister in der Pressemitteilung „Erneuerbaren-Energien-Gesetz tritt in Kraft“ vom 30.07.2004
(5) Quelle: Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier im ARD-„Morgenmagazin“ am 05.03.2019